In unserem letzten Blogartikel haben wir uns damit beschäftigt, was Peer Learning eigentlich ist und warum der Einsatz von Peer Learning im Unternehmen sinnvoll ist. Hier geht es zum Artikel. Zur Erinnerung: Peer Learning – oder auch Peer-to-peer Learning, Peer-Support oder Lernen P2 – ist das Lernen unter Gleichgestellten, d.h. ohne die Anwesenheit einer Lehrperson, eines Anleitenden oder einer anderen (Lehr-)Autorität. „Peers“ sind Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden wie wir und mit denen wir uns deshalb leicht identifizieren können.[1]

In diesem Artikel soll es darum gehen, den Zusammenhang der Digitalisierung mit Peer Learning zu beleuchten und einige Formate für digitales P2P-Lernen vorzustellen. Hier ein kleiner „Spoiler“: Für einen erfolgreichen Umgang mit der Digitalisierung erweist sich Peer Learning als unerlässliche Methode!

Digitales Peer Learning ist ein Schritt in die Zukunft…

Wenn es um die digitale Transformation eines Unternehmens geht, erweist sich Peer Learning als besonders wichtige Methode. In der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts kommt es nicht mehr nur darauf an, einmal erlerntes Wissen zu erhalten und zu festigen – es ist viel wichtiger, flexibel zu bleiben und immer wieder dazuzulernen. Ständig erscheinen neue Technologien auf dem Markt, die unsere Arbeitswelt verändern und vorantreiben, und nach wie vor werden diejenigen Marktteilnehmer am erfolgreichsten sein, die sich diesen Veränderungen anpassen und sie für sich nutzbar machen können.

Insgesamt sollte Peer Learning ein fester Bestandteil der für den erfolgreichen Umgang eines Unternehmens mit der digitalen Transformation unerlässlichen agilen Arbeitskultur sein. Peer Learning eignet sich nämlich nicht nur dazu, dass sich Lernende die Funktionsweise digitaler Tools durch Peer-Support aneignen – darüber hinaus können die Tools selbst ein hervorragendes Mittel sein, um Peer Learning einzusetzen und im selben Zuge etwas über die Möglichkeiten der Digitalisierung zu lernen.

Wie wichtig Peer Learning ist, um die Komplexität digitaler Strukturen handhabbar zu machen, zeigt der Erfolg der IT-Hochschule 42. „42“ wurde im Jahr 2013 in Paris gegründet, hat inzwischen einen Hauptstandort im Silicon Valley und setzt in ihrem pädagogischen Konzept ausschließlich auf Peer Learning. Nach dem Motto „Zero Tuition – Zero Classes – 100% Coding“ können sich die StudentInnen, nachdem sie einen herausfordernden Bewerbungsprozess durchlaufen haben, aus einem offenen Studienprogramm frei ihren eigenen Lernweg wählen – und das ohne, dass sie dafür bezahlen müssen. Die Campus der Hochschule sind mit Computerräumen ausgestattet, die von den Studierenden rund um die Uhr benutzt werden können. Das Lernkonzept läuft projektbasiert und bringt die Studierenden dazu, komplexe Probleme unmittelbar in Teamwork zu lösen: Je mehr Projekte sie mit ihren Peers abgeschlossen haben, desto mehr haben sie auch von ihrer Ausbildung abgeschlossen. Je nach Lerngeschwindigkeit brauchen die Studierenden an der „42“ drei bis fünf Jahre für einen Abschluss und sind danach ausgebildete ProgrammiererInnen – die mit Sicherheit wissen, wie sie mit praktischen Problemen umzugehen haben. Diese Hochschule bildet keine Theoretiker aus, sondern Absolventen, die in der Wolle von Arbeitsweisen der digitalen Transformation wie dem Peer Learning gefärbt sind.

Nicht zuletzt hat digitales Peer Learning durch die Corona-Pandemie getriebenen Entwicklungen massiv an Bedeutung gewonnen: So ist es an vielen Universitäten, die wegen des Gesundheitsschutzes auf den digitalen Betrieb umsteigen mussten, schnell aufgefallen, dass Online-Seminare sehr viel wirksamer sind, wenn Peer Learning aktiv in das didaktische Konzept integriert wird.4 Natürlich mussten sich im Zuge der Pandemie auch viele Unternehmen innerhalb von kürzester Zeit digitalisieren und ihre Meetings per Video durchführen – auch hier wurden die Formen Peer Learning, die bereits vorher im Unternehmen existierten, also in den digitalen Raum verschoben. Equeo hat aus dieser Not übrigens eine Tugend gemacht und das Projekt „Home Office Navigator“ ins Leben gerufen: Hier teilen E-Learning-ExpertInnen und FachexpertInnen des Managements ihre Erfahrungen mit virtuellem Teamwork und geben Mitarbeitenden und Führungskräften einen Leitfaden für eine gelungene Home Office Kultur an die Hand. [Hier mehr erfahren] Sicher ist: Peer Learning wird in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen.

…doch in welchen Formaten lässt sich das eigentlich durchführen?

Eine eher informelle Variante von digitalem Peer Learning lässt sich schon in den kleinsten Formaten entdecken – zum Beispiel beim Chatten in Messenger-Diensten wie Microsoft Teams oder Slack oder beim Videocall zwecks gemeinsamen Brainstormings. Wie schon beim Gespräch mit der Kollegin der Teeküche ist die niedrigschwellige Kommunikation beim an dieser Stelle keine Banalität, sondern genau das Mittel, durch das Peer Learning so gut funktioniert.

Neben diesen eher informellen Varianten lässt sich digitales Peer Learning aber auch gezielt organisieren und fördern – zum Beispiel in einem von diesen vier Formaten:

  1. Social Learning und Networking in MOOCs

Schon 2013 bot die University of Edinburgh in Kooperation mit der E-Learning-Plattform Coursera einen MOOC mit über 40.000 Teilnehmenden zum Thema E-Learning and Digital Cultures an, dessen integraler Bestandteil Peer-to-Peer Learning war. Der Peer-Support funktionierte dabei vor allem über soziale Plattformen wie Twitter und Google+, sodass die Kommunikation unter den Lernenden fast automatisch zustande kam. Mit einem Hashtag starteten die Kursleiter schon vor Kursbeginn die Diskussion über die Lerninhalte, sodass sich die Teilnehmenden untereinander austauschen und ihre Wissensstände miteinander abgleichen konnten. Weiterhin bekamen die Teilnehmenden des Kurses jede Woche die Aufgabe, eines der erlernten Themen in einem Bild, Text, Sound oder Video darzustellen und hochzuladen. Gleichzeitig sollten sie pro Woche drei Beiträge ihrer Peers zu evaluieren. So entstand nicht nur ein kommunikatives Netzwerk, sondern auch eine Sammlung von Blogposts, Videos, Texten und anderen praktischen Beiträge, die für alle zugänglich war – also ein Wissensarchiv, dass dendie Lernprozess der MOOC-Gemeinschaft kontinuierlich vorantrieb. Kursteilnehmende der University of Wellington resümieren:

As participants, we experienced deep and significant learning, very much through social media. The peer-to-peer learning we engaged in and benefitted from was not traditionally organised ‘group work’ or micro-managed interaction, but something more fluid, open, student-initiated and led, that seems to have gone to the very core of what online learner agency, and digital culture, is all about.“[2]

Auch für das betriebliche Lernen bietet Social Learning über soziale Netzwerke nicht zu unterschätzende Vorteile. Hier können Sie mehr darüber erfahren.

  1. Video-Tutorials von Peer to Peer

Video-Tutorials sind in Netzwerken wie YouTube, Facebook und Instagram längst ein alltäglicher Teil digitaler Kommunikation. Manche Accounts sind sogar ganz darauf ausgerichtet, Peers wöchentlich ein neues Thema beizubringen und regelmäßig Lerncontent hochzuladen. Dabei ist nicht nur das Schauen, sondern auch das Kreieren von Video-Tutorials eine spaßige und effiziente Form von Peer-to-Peer-Learning, dessen Einsatz sich nicht zuletzt im Unternehmen lohnt. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Excel-Expertin der Firma eine Video-Anleitung für das Marketing-Team erstellt, in der sie erklärt, wie die wöchentliche Auswertung der Reporting-Tabelle funktioniert – und dabei gleichzeitig von einem Kollegen lernt, wie man mit Videoschnittsoftware umgeht? Sicherlich wäre das ein dynamischer und mehrwertbringender Lernprozess, der die Eigenständigkeit aller Beteiligten fördert!

  1. Tutoring & Peer-to-Peer-Feedback

Peer-to-peer-Feedback bzw. Peer-Evaluation ist inzwischen eine beliebte Form digitalen Lernens. Lernende geben sich gegenseitig Feedback, schlüpfen dabei in die Rolle eines Experten und evaluieren die Arbeit ihres Gegenübers.  So lernen beide Seiten dazu und ergänzen sich in ihren Perspektiven. Große E-Learning-Anbieter wie Coursera (s.o.), aber auch edX und FutureLearn setzen in ihren Kursen bereits auf Peer-Review-Methoden. Außerdem gibt es Plattformen wie Peertutors, deren Ziel es ist, Peers und Peer-TutorInnen digital miteinander zu vernetzen.

  1. Online-Kurse von Peers für Peers

Besonders wirksam kann digitales Peer-to-Peer-Learning sein, wenn Lernende selbst einen E-Learning-Kurs für ihre Peers erstellen. Das ist zwar arbeitsaufwändig, aber dafür auch sehr effektiv!

Auf diesem Weg kam die Ausarbeitung des Moduls Corporate Learning und Digitalisierung zustande, welches equeo im Jahr 2019 für die Fernuniversität EURO-FH als E-Learning-Kurs entwickeln durfte. Das Online-Modul ist fester Bestandteil des Studiengangs „Personalmanagement und Corporate Learning“ und umfasst mehrere ETCS. Das Spannende daran: Die Entwicklung und Ausarbeitung dieses Online-Kurses ist ausschließlich Ergebnis von Peer Learning!

Denn seine Lerninhalte wurden von einer Gruppe unterschiedlicher Studierender mit verschiedenen Kernfächern entwickelt, die keine Vorkenntnisse zum Thema Corporate Learning mitbrachten. FachexpertInnen und Dozierende stellten ihnen Lehrmaterialien zur Verfügung, gaben Impulse für die Struktur des Kurses und unterstützten sie im Entwicklungsprozess; doch das Schreiben, Entwickeln und Aufbereiten der Inhalte geschah im Teamwork der Studierenden selbst. Die Resultate sind erstaunlich: Es wurde ein umfangreicher Online-Kurs entwickelt, der diverse Themen in Tiefe behandelt und die Kursteilnehmenden zu Interaktionen ermutigt. Dass die Zielgruppe für den Online-Kurs direkt an seiner Entwicklung beteiligt war, zeigt sich deutlich im Ergebnis – denn die Themen sind so aufbereitet, dass sie für alle Studierende ohne Vorkenntnisse zugänglich sind, und folgen gleichzeitig einem jugendlich-frischen Design.

Übrigens: Die Studierenden, die das Online-Modul entwickelt haben, sind jetzt selbst ExpertInnen für Coroporate Learning und Digitalisierung – und ihre Fähigkeiten kommen im Arbeitsalltag immer wieder zum Einsatz.

Aller Anfang ist leicht

Für Unternehmen, die für den Anfang einen weniger aufwendigen Einstieg ins digitale Peer Learning wagen wollen, gibt es auch kleinere Formate, in denen das betriebliche Wissen im Sinne von P2P-Support organisiert werden kann: Beispielsweise ließe sich ein firmeninternes Wiki erstellen, das schon mit leicht zugänglichen Programmen wie Microsoft Sharepoint oder Google Drive angelegt werden kann.

Allgemein sollte Peer-Support fester Bestandteil einer agilen Arbeitskultur sein, die den Wert von einer hierarchischen Mentalität zu einer Netzwerk-Mentalität verschiebt: Hier hat kollaboratives Arbeiten und gemeinschaftliches Lernen unter Peers die oberste Priorität. Und wenn man sich einmal die Entwicklungsgeschwindigkeit der digitalen Transformation anschaut und bedenkt, wie vielen digitalen Innovationen wir fast täglich ausgesetzt sind : Können wir da nicht alle ein bisschen Peer-Support gebrauchen?

[1] http://www.oezeps.at/a3066.html

[2]Purser, E. Rose., Towndrow, A. & Aranguiz, A. (2013). Realising the potential of peer-to-peer learning: taming a MOOC with social media. e-Learning Papers, 33 (May 2013), S. 1.