Peer Learning (von engl. peer = Ebenbürtiger, Gleichgestellter oder -altriger)

Wissen Sie, was Peer Learning ist? Nein? Damit liegen sie vermutlich falsch! Mit Sicherheit haben Sie in Ihrem Leben schon unzählige Male von Ihren Peers gelernt und von deren Wissen profitiert. Zum Beispiel in der Schule, als Ihr Sitznachbar Ihnen die Matheaufgaben nochmal erklärt hat, beim Lernen für eine Klausur mit Ihren Kommilitoninnen, oder als Sie von Ihrer Kollegin in die Aufgaben Ihres neuen Jobs eingearbeitet wurden. Peer Learning bezeichnet im allgemeinen Sinne das Lernen unter Gleichgestellten, d.h. ohne die Anwesenheit einer Lehrperson, eines Anleitenden oder einer anderen (Lehr-)Autorität. „Peers“ sind Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden wie wir und mit denen wir uns deshalb leicht identifizieren können.[1] Peers können für uns Kollegen, Mitschüler, KommilitonInnen, Mit-Auszubildende, FreundInnen oder schlicht Personen unseres Alters sein. Peer Learning, Peer-2-Peer-Learning, Peer-Support – ein Phänomen mit vielen Namen – findet im Großen und Ganzen dann statt, wenn es keine sozialen Hierarchien gibt, wenn die Lernenden ihren Lernprozess selbst in die Hand nehmen und dadurch selbst zu WissensvermittlerInnen werden.[2] Peer Learning kann sowohl in informellen Kontexten stattfinden als auch gezielt angewendet werden – und bisweilen sehr nützlich für unternehmerische Zwecke sein!

Wir wollen in diesem Artikel verschiedene Fragen rund ums Peer Learning beantworten: Was ist Peer Learning? Wie lässt sich Peer Learning im Unternehmen einsetzen? Welche Vorteile hat Peer Learning? Welche Projekte und Lernziele können mit Peer Learning umgesetzt werden? Und: Wann sollte man vielleicht besser auf Peer Learning verzichten?

Peer Learning ist soziales Lernen 

Wenn wir uns an eine Kollegin wenden, damit sie uns die Funktionsweise von Excel erklärt, fällt es uns in der Regel ziemlich leicht, ihre Ratschläge anzunehmen: Sie hat ähnliche Aufgaben wie wir in der Firma, sie weiß, welche Funktionen für unsere Arbeit besonders wichtig sind, und vor allem ist sie nicht unsere Chefin, die unseren Lern- und Arbeitsprozess möglicherweise im selben Moment bewertet. Beim Gespräch mit der Kollegin sind wir entspannt und merken oft nicht, dass unser Lernprozess voranschreitet. Vermutlich findet das Gespräch auch gar am Arbeitsplatz, sondern eher in der Teeküche statt. Gerade hier liegt der Knackpunkt beim Peer Learning: Die Tatsachen, dass wir uns mit unserem Gegenüber identifizieren, seinem Urteil vertrauen und kein Machtgefälle zwischen uns besteht, sind nicht nur angenehme Nebeneffekte, sondern die Fundamente des Peer Learnings. In einer lockeren und kollegialen Atmosphäre lassen sich die meisten Lerninhalte leicht und mühelos vermitteln und der Lernende spürt weniger Widerstände gegen die Aufnahme neuer oder komplexer Sachverhalte. Der soziale Kontext ist beim Peer Learning also tatsächlich nicht nur ein Kontext, sondern die Vermittlungsbasis des Lernprozesses schlechthin.

Übrigens: Laut einer Studie, die von der Plattform Degreed durchgeführt wurde, wenden sich 55% der Mitarbeitenden nicht an ihren Vorgesetzten, wenn sie ein Problem mit ihrer Aufgabe haben oder etwas lernen wollen – sondern zuerst an ihre „Peers“.[3]

Auch das bewährte 70/20/10-Modell weist auf die Notwendigkeit und Effizienz von Peer Learning hin: Diesem Modell funktioniert ein optimaler Lernprozess zu 70% über die (experimentelle) Bewältigung neuer Herausforderungen und Aufgaben, 20% über die soziale Interaktion mit anderen und 10% durch formelles Lernen.[4]

Peer Learning im Unternehmen: Unerlässlicher Teil einer progressiven Kultur

Gerade weil Peer Learning von den Lernenden selbst ausgeht, im Arbeitsalltag ohnehin betrieben wird und sich dabei auch noch als sehr effektiv erweist[5], sollte der gezielte Einsatz von Peer Learning im Unternehmen gefördert werden – und das nicht nur in der Teeküche oder beim Mittagessen, sondern als fester Bestandteil der Unternehmenskultur.

So lohnt es sich bspw., das Arbeiten in cross-funktionalen Teams zu etablieren, in denen Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen zusammen an einer Lösung arbeiten und ihre Expertise miteinander teilen. Cross-Funktionalität ist ein klarer Fall von Peer Learning, der in einer agilen Unternehmenskultur nicht fehlen sollte. Darüber hinaus wurden mittlerweile eine Reihe an Formaten und Ideen entwickelt, die darauf ausgerichtet sind, Peer Learning im Unternehmen zu etablieren und aktiv zu fördern: So etwa die Organisation von Lunch and Learn Meetings,  eines betrieblichen Mentoring-Programms , von Generations-Tandems oder der regelmäßige Einsatz von Peer Feedback.

A propos Feedback: Damit Peer Learning sinnvoll in der Arbeitsweise eines Unternehmens integriert werden kann, sollte der positive Umgang mit Fehlern und eine offene Feedbackkultur bereits gang und gäbe sein. Auch kommt es darauf an, beim betrieblichen Lernen zunehmend auf Hierarchien zu verzichten und den Mitarbeitenden zu vertrauen.

Im besten Fall wird Peer Learning dann zu einer Arbeitsweise, die fest in die Unternehmenskultur verankert ist und auf alltäglicher Basis stattfindet, indem Mitarbeitende durch Teamwork voneinander lernen, sich bei der Bewältigung von Aufgaben gegenseitig unterstützen und so zu wohlüberlegten und funktionalen Lösungen kommen.

Vorteile von Peer Learning

Die Vorteile von Peer Learning sind vielseitig und lassen sich nicht formal beschränken. Hier seien dennoch fünf Vorteile genannt, die der Einsatz von Peer Learning im Unternehmen mit sich bringt:

1. Dadurch, dass die Mitarbeitenden ihren Lernprozess selbst in die Hand nehmen, wird zunächst einmal ihre Eigenständigkeit und Kreativität geweckt und gefördert. Anstatt dass in einem Unternehmen z. B. der Vorgesetzte die Herangehensweise und Durchführung einer Problemlösung erklärt, setzen sich die Mitarbeitenden eigenhändig mit dem Problem auseinander und entwickeln ihre eigenen Ideen.

2. So wird auch der Teamgeist gestärkt: Lernen ist dann ein durch und durch sozialer Prozess, in dem jeder auf das Wissen seiner Peers angewiesen ist.

3. Peer Learning fördert eine kollaborative Lernkultur und führt im besten Falle dazu, dass das Wissen einer Organisation für all ihre Mitglieder zugänglich gemacht wird. Das ist für eine erfolgreiche Unternehmenskultur ohnehin wichtig: Denn Silowissen, das nicht zwischen verschiedenen Abteilungen kommuniziert wird, kann leicht zu Doppelstrukturen führen und einer Organisation langfristig schaden.

4. Peer Learning bezieht automatisch die Bedürfnisse der Lernenden mit ein, da diese ihren Lernprozess maßgeblich mitbestimmen: Peers gehen aufeinander zu, verabreden sich zu Meetings und Workshops, weil sie selbst mit einem Problem weiterkommen möchten. Die Lernmotivation ist deshalb von vornherein gegeben.

5. Letztens kann Peer Learning für ein Unternehmen kosteneffizient sein, da für manche Themen u.U. Kosten für aufwändige Weiterbildungsmaßnahmen eingespart werden können.

Wann sollte man auf Peer Learning setzen – und wann besser nicht?

Wie wir gesehen haben, ist es für eine progressive und agile Zusammenarbeit insgesamt zielführend, Peer Learning als festen Bestandteil in den Unternehmensalltag mit einzubinden. Der Einsatz von Peer Learning als effektive Lern- und Arbeitsmethode bietet sich vor allem dann an, wenn es mehrere Lösungswege für ein Problem gibt und wenn cross-funktionales Denken, Kreativität und Teamwork gebraucht werden.

Allerdings gibt es auch Lernziele, die nicht allein durch Peer Learning erreicht werden können: Denken Sie z. B. an Technikschulungen im Luftfahrtbereich oder an die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal: In diesen Fällen können die Lerninhalte bei Weitem nicht durch Peer Learning vermittelt werden, denn hier ist die Expertise einer Lehrautorität klar gefragt und ein vorgeschriebener Lernweg erforderlich. Wo es also darum geht, systematisch die Grundlagen eines bestimmten Lerngebietes zu erarbeiten, bieten sich Top-Down strukturierte Lernmethoden mehr an als Peer-Learning Ansätze. Doch an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Auch in solchen Fällen kann der Lernprozess mit Peer Learning ergänzt werden und die Effektivität des Lernprozesses steigern.

Lesen Sie den folgenden Artikel, um zu erfahren warum der Einsatz von Peer Learning im Hinblick auf die digitale Transformation so wichtig ist und welche digitalen Formate es für P2P-Support gibt.

Quellen

[1] Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen, <http://www.oezeps.at/a3066.html>.

[2]Vgl. D. Boud, R. Cohen, J. Sampson, „Peer learning and assessment“, Assessment & Evaluation in Higher Education, vol. 24, pp. 413-426, 1999. Gogus A. (2012) Peer Learning and Assessment. In: Seel N.M. (eds) Encyclopedia of the Sciences of Learning. Springer, Boston, MA. <https://doi.org/10.1007/978-1-4419-1428-6_146>

[3] https://get.degreed.com/hubfs/Degreed_How_the_Workforce_Learns_in_2016.pdf

[4] Lombardo, Michael M; Eichinger, Robert W (1996). The Career Architect Development Planner (1st ed.). Minneapolis: Lominger.
<https://trainingindustry.com/wiki/content-development/the-702010-model-for-learning-and-development/>

[5] Zur Effektivität von Peer Learning wurde z. B. eine Studie an der Shiraz University of Medical Sciences unter Studierenden der Ernährungswissenschaften durchgeführt. Dabei kam heraus, dass sich Peer Learning als eine sehr effiziente Lernmethode eignet und dabei das Selbstbewusstsein der Lernenden in ihrem Lernprozess stärkt. Vgl. Dehghani, Mohammad Reza et al. “Evaluation of the efficacy of peer-learning method in nutrition students of Shiraz University of Medical Sciences.” Journal of advances in medical education & professionalism vol. 2,2 (2014): 71-76.