Im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur erklärt unsere IT Leiter Gregor Engelmeier welche Motive hinter Computerspielen stecken und wie man diese für das Lernen nutzen kann. Hört doch hier mal rein! Im Blog findet ihr weitere Fragen sowie Antworten zu diesem Thema.

Dlf Kultur: Computerspiele können so viel Spaß machen, dass einige Kinder- und Jugendliche davon süchtig werden auch sie haben mir gesagt: JA, die Stunden, die Kinder vor dem Computer – auch mit Spielen – verbringen, steigen weiter. Zum gleichen Ergebnis kommt eine Forsa-Befragung im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE). Demnach waren die befragten Kinder und Jugendlichen an Wochentagen vor Corona durchschnittlich eine Stunde und 23 Minuten lang mit Computer- oder Online-Spielen beschäftigt, im April 2020 während des ersten Lockdowns erhöhte sich die Nutzung stark auf zwei Stunden und zwölf Minuten am Tag. Im November 2020 waren es immer noch fast zwei Stunden täglich. Hinzu kommen die Zeiten auf Instagram, Snapchat, TikTok oder anderen Plattformen.

Dlf Kultur: Welchen Aufwand betreiben, Computerspielproduzenten, um ihre Klientel zu behalten?

Gregor: Microsoft unterhält beispielsweise zur Unterstützung der Entwickler von Spielen auf seiner beliebten Xbox-Plattform eine eigene Forschungsgruppe, von denen die Mehrzahl Doktortiteln in Psychologie, Anthropologie oder Kognitionswissenschaften haben. Diese Forschungsgruppe schreibt über ihren Auftrag: „[Wir liefern]… für unsere Spiele, Plattformen und Beteiligungsunternehmen wirkungsvolle Analysen und strategische Anleitungen, die fortgesetztes Gamer Engagement sichern“. Mentor dieser technischen Anwendung der psychologischen Wissenschaften ist B.J. Fogg von der Stanford University. Er taufte das Gebiet schon 1993 „Persuasive Technologies“ und genießt im Silicon Valley den Ruf eines „Millionärsmachers“. Zu dem Thema – das sich bei weitem nicht auf die Online-Gaming-Welt beschränkt – finden regelmäßig internationale Kongresse statt. Eltern, die den Gamingkonsum ihrer Kinder einzuschränken versuchen, stehen also einer Speerspitze der aktuellen psychologischen Forschung in Sachen Verhaltensmodifikation gegenüber.

Dlf Kultur: E-Learning ist ihr Fachgebiet: Was schauen sie sich bei der Entwicklung von Lernprogrammen von den Entwicklern der Computerspiele ab?

Gregor: Zunächst einmal: Die Budgets für die Entwicklung von eLearning Anwendungen bewegen sich irgendwo bei weniger als einem 1000stel der Budgets für die Entwicklung großer Onlinespiele. Trotzdem gibt es Erfahrungen, die man übertragen kann: In guten Computerspielen Lernen die Spieler sehr viel und sehr schnell. Die unteren Level von Spielen sind oft dazu ausgelegt, die oft komplexen Interaktionen mit dem Spieluniversum und sie zahllosen Optionen und Werkzeuge, die den Spielern zur Verfügung stehen so zu erschließen, dass der Spieler stets aus „Spaß“ weiterspielt, während er aber tatsächlich sehr viel lernt. Schlüssel zu diesem unbemerkten Lernen ist es, die Schwierigkeit der gestellten Aufgaben genau auf den Lernstand und die Fähigkeiten des Spielers abzustimmen. Es ist eine Anwendung des Prinzips des „game flows“ von dem wir schon gesprochen haben. Diesen „Flow“ des Lernens zu erreichen ist – neben der Übernahme von den einfachen Motivationsmechanismen – die wirkliche Herausforderung für die Entwicklung von eLearning Applikationen.

Dlf Kultur: Gibt es Untersuchungen darüber, ob Kinder und Jugendliche lernwilliger und -fähiger wären, wenn die Schulstoffvermittlung nach dem Vorbild von Computerspielen laufen würde?

Gregor: Darüber denken auch Menschen nach, die aktiv an der Entwicklung von Spielen arbeiten. Entwickler von Spielen sind oft jung und haben selber Kinder. Daher liegt der Gedanke für sie nahe. Wir haben schon darüber gesprochen das in Computerspielen sehr viel gelernt wird und WISSEN daher das es – entsprechendes Engagement der für das schulische Lernen zuständigen Institutionen vorausgesetzt – natürlich möglich wäre, SEHR effiziente Lernlösungen in Spielform zu entwickeln. Stattdessen werden nun „Lernplattformen“ ausgerollt, die letztlich nichts anderes sind als Systeme, in denen Online-Lernen verwaltet wird. Das ist sicher notwendig – aber längst nicht genug. Und schließlich können technische Lösungen nur erfolgreich sein, wenn sich die neue Generation der Lehrer – selbst online und mit Computerspielen aufgewachsen – auf die Hinterbeine stellt und ruft: Gebt uns was wir brauchen, um das unersetzliche personale Lernen mit dem – wie wir während der Homeshooling Zeit gesehen haben – scheinbar ebenso unersetzlichen digitalen Lernen zu verschmelzen.

Dlf Kultur: Ihre Firma entwickelt solche e-learning Programme für die berufliche Ausbildung, warum machen sie das nicht für Schulen?

Gregor: Wir leben in einem Land, in dem die Bundesbildungsministerin 462 Tage nach dem ersten nachweislich mit Covid-19 infizierten in Deutschland zu einer viel einfacheren Frage (es ging glaube ich um den Transport von Schülern zur und von der Schule) öffentlich sagt dass man erst einmal sehen müsse und danach Schritt für Schritt vorgehen werde. Wir leben in einem Land, das es auch nach 462 Tagen nicht geschafft nur seine 460 Gesundheitsämter mit einheitlicher Software auszustatten, um die Erfassung von Daten effizienter zu gestalten, deren Folge nicht nur Grundrechtseinschränkungen seiner Bürger, sondern auch die wie erklärt wird pandemieentscheidende Nachverfolgung von Ausbrüchen zu beschleunigen. Ich glaube das die zuständigen Verwaltungen weder in der Fähig noch Willens sind, die vielfältigen Angebote, die Ihnen in dieser Richtung bereits in der Vergangenheit gemacht wurden zu verstehen, zu bewerten und umzusetzen. In den wirtschaftlichen Kontexten besteht oft ein anderer Handlungsdruck – am Ende sind es immer noch die Mitarbeiter und ihre Qualifikationen, die den Umsatz machen – und eine andere Handlungskultur. Daher ist die berufliche Bildung hier häufig deutlich engagierter. Es bleibt zu hoffen, dass die desaströse Erfahrung mit dem s.g. Home-Schooling (das in der Tat wohl häufig ein No-Schooling war) hier etwas ändert. Ich glaube es allerdings nicht, da wir es hier mit einem systemischen und nicht mit einem technischen Problem zu tun haben.

Gregor Engelmeier ist Leiter der Softwareentwicklung und des IT-Betriebs bei der equeo GmbH. Nach seinem Studium an der TU-Berlin war er dort zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter und hatte u. a. im Bereich der Forschung über Phänomene der Selbstorganisation komplexer Systeme Lehraufträge inne. Nachdem er die Universität verlassen hatte, führte er bis 2004 eine Berliner Firma, die unter anderem die Bankgesellschaft Berlin und das Goetheinstitut in München beriet. Nach Stationen als IT Manager bei Wolters Kluwer / digital spirit und Infinitas Learning in den Niederlanden, kam er 2015 zur equeo GmbH. Über seinen beruflichen Alltag hinaus interessiert sich der IT-Experte besonders dafür, wie sich soziale und technische Systeme gegenseitig durchdringen.

Das Interview findet ihr auch direkt in der Mediathek vom Deutschlandradio.