Gregor Engelmeier ist Leiter der IT-Abteilung bei equeo und Informatiker durch und durch. Auch in seiner Freizeit treiben ihn verschiedene Themen rund um die digitale Transformation um. Als IT-Experte war er deshalb in den letzten Wochen in zahlreichen Medien präsent. Im Interview mit der equeo-Redaktion erläutert er jetzt die Vorteile von Games und wie diese in anderen Kontexten sinnvoll genutzt werden können.

Gregor, Du bist in den letzten Wochen ja ganz schön in den Medien unterwegs gewesen – vor allem zu den Themen Games und Spielsucht aber kürzlich auch zu Datenschutz, Urheberrecht und Freiheit im Netz. Weshalb liegen Dir diese Themen so am Herzen? Was ist Deine Motivation hinter diesem Engagement?

Ich glaube, es ist einfach Zeit für Leute wie mich den Mund aufzumachen. Du weißt ja, dass ich „Vollblutinformatiker“ bin. Lange waren die Themen rund um die Informatik eher ein Thema für „technisch Interessierte“ (vulgo: „Nerds“).
Wenn man sich aber die Auseinandersetzung um die Urheberrechtsreform anguckt und sieht, mit wieviel Verbissenheit von den großen Contentverwertern und Medienhäusern nicht nur ihr althergebrachtes Geschäftsmodell und damit ihren – ebenso althergebrachten – politischen Einfluss zu sichern versuchen, muss man erkennen, dass das Thema im Zentrum einer Auseinandersetzung um die Macht in unseren Gesellschaften angekommen ist.
Und ich finde, wenn einen die Gesellschaft – hier in Form der Presse – fragt,sollte man Antwort geben, wenn man kann.

Gerade beim Thema „Gamification“ haben Deine Beiträge der letzten Wochen ja direkt mit unserer Arbeit bei equeo zu tun. Kritisierst Du, was Du selber machst? Ich dachte, wir wären die „Guten“.

Natürlich sind wir das! Bei Gamification geht es um Motivationsmechanismen, die man so oder so verwenden kann. In erfolgreichen Online-Games wie „Fortnite” werden sie verwendet, um die Spieler möglichst lange online zu halten. Denn nur ein Spieler der Online ist, kann auch online Geld ausgeben.
In unseren Lernspielen und Informationssystemen dagegen verwenden wir Elemente von Gamification, damit der Lerner möglichst schnell und nachhaltig lernt! Unser Geschäftsmodell hängt nicht davon ab, dass wir Menschen zum „Komazocken“ manipulieren.

Aber gerade beim Thema Spielsucht weist Du immer wieder auf die Games-Mechanismen hin, die die Spieler beeinflussen und in eine Spielschleife hineinziehen, aus der sie nur schwer wieder herausfinden. Was ist das Problem?

Wenn Du heute Abend mal mit Bekannten sprichst, die Kinder zwischen 9 und 17 Jahren haben, und fragst, ob Onlinegaming bei ihnen in der Familie ein Thema ist, hast Du eine fast 100%ige Trefferquote. Das Thema ist dabei nicht so sehr die „Spielsucht“, sondern das jede freie Minute vieler Kids von perfekt gemachten Aufmerksamkeitsstaubsaugern abgezogen wird.

Als Informatiker bewundere ich die technische Perfektion von Plattformen, auf denen in Peak-Zeiten 10 Mio. Spieler in Echtzeit miteinander interagieren können. Als Vater wünsche ich mir, dass die Kinder mehr Langeweile haben. Ich halte den Moment der Langeweile für den Moment, in dem die Kreativität der Kinder geweckt wird. Das Problem ist: Langeweile gibt es nicht mehr, denn das Game ist immer nur so weit weg wie das Handy –bei der betroffenen Generation also so weit, wie die rechte Hand.

Aber diese Elemente können auch in anderen Kontexten eingesetzt werden, beispielsweise, wenn es um das Lernen geht. Wie wirken die Games-Mechanismen hier?

Eine gute Lern-App ist wie so eine Fitness-App, die zu Deinem Fitbit gehört: Sie ermuntert Dich, den „inneren Schweinehund“ zu überwinden, sie verpackt die Anstrengung des Lernens in Wettbewerben, sie arbeitet mit positiven Erfahrungen und dem Ansporn, den eine Lerngruppe bieten kann. Und schließlich ist ihr Ziel nicht Zerstreuung und das Totschlagen von Zeit, sondern die Konzentration auf wichtige Lerninhalte, die ich für Beruf oder Ausbildung lernen muss.

Wird der Traum „spielend lernen“ etwa Wirklichkeit? Wie effektiv sind solche Lernspiele?

Wir können sehen, dass unsere Nutzer anders lernen. Sie lernen in den Randzeiten des Arbeitstages, zum Beispiel nach der Mittagspause oder vor Feierabend. So manchen packt es aber auch, und er spielt mit seinen Kollegen während des ganzen sonntäglichen Tatorts J. Ein Kunde hat uns erlaubt, das Engagement der anonymisierten Lerner mit unseren Apps, mit den Ergebnissen einer formellen Qualifikationsprüfung zu vergleichen. Das Ergebnis war, dass Menschen, die mit unseren Apps spielen, in den Qualifikationsprüfungen viel seltener durchfallen. Das ist für unsere Kunden auch ein Business Case: Aus- und Weiterbildung ist teuer. Eine durchgefallene Prüfung ist ein verlorenes Investment.

Ist das für alle Branchen bzw. Arbeitsbereiche sinnvoll?

Im Prinzip ja. Allerdings sind der Wissens-Erwerb und die Vertiefung von Faktenwissen mit erläuternden Inhalten die Domänen, in der diese Methoden am meisten verbreitet sind. Wenn wir in den Bereich der Transferleistungen kommen, werden unsere Lösungen gerne in Blended-Learning-Szenarien eingesetzt. Zum Beispiel um nach dem Modell des „Flipped Classroom“ Präsenzseminare vom Vermitteln von Faktenwissen zu entlasten. So kann dort Platz für das Coaching durch den Trainer und Diskussionen noch nicht ganz verstandener Konzepte geschaffen werden.
Hier spielt auch der Aspekt der Learning Analytics eine große Rolle, indem dem Trainer in kompakter Form ein Überblick über den Lernstand seiner Gruppe und deren spezifische Schwierigkeiten gegeben werden kann.

Gibt es Unterschiede zwischen den Altersgruppen?

Bei unseren Zielgruppen eigentlich nicht. Das liegt auch an der Demographie: Laut dem Verband der deutschen Games Branche nutzen selbst 50% aller 50-Jährigen im Privatleben von Zeit zu Zeit Computerspiele; bei den Auszubildenden sind es fast 100%. Es ist eher so, dass die Lerner immer mehr solcher Mittel fordern, da sich auch der Lernstil deutlich geändert hat. Der Lerner, der sich abends mit einem Lehrbuch an den Schreibtisch setzt und systematisch Kapitel um Kapitel des Stoffs erarbeitet, war schon in der Vergangenheit ein seltenes Exemplar. Heute gehört er wohl endgültig der Vergangenheit an.

Der wesentliche Nutzen für den Lerner ist, dass unsere Lösungen den Lernprozess für ihn strukturieren und seine Motivation stützen. Das kommt den neuen Lerngewohnheiten entgegen aber hilft genauso den im stressigen Berufsalltag stehenden, älteren Lernern.

Thema Datenschutz: Auch bei digitalen Lernanwendungen werden Daten gesammelt. Das schürt bei Mitarbeitern und vor allem bei Betriebsräten Skepsis, wenn es um die Einführung solcher Angebote geht. Wie kann man diese beruhigen?

Es geht nicht darum, irgendjemanden zu beruhigen. Es geht darum, tatsächlich zu liefern. Natürlich brauchen wir Daten über den Lernstand, um den Lernprozess danach zu steuern. Der große Unterschied zu den kommerziellen Datenkraken ist jedoch, dass unsere Lösungen in der Regel von den Unternehmen zur Schulung ihrer Mitarbeiter eingesetzt werden. Wenn der Lerner unsere Lösung benutzt, hat also schon jemand für unsere Arbeit bezahlt. Wir brauchen die Lernstandsdaten nicht, um damit Geld zu verdienen. Und wir würden uns selbst extrem schaden, wenn wir diese Daten monetarisieren würden, wie das bei Online Games geschieht.

Die Betriebsräte, mit denen wir zusammenarbeiten erkennen das schnell und unterstützen uns nach Kräften. Sie wissen nämlich am besten, wie wichtig Qualifikation für ihre Kollegen ist, und wie schwierig diese ohne Hilfsmittel, wie wir sie zur Verfügung stellen, zu erarbeiten ist.

Woran arbeitet ihr eigentlich gerade in der Softwareentwicklung von equeo?

Unser „next big thing“ ist die weitere Kontextualisierung der Lernprozesse. Es ist bekannt, dass Inhalte immer dann besonders gut „hängen bleiben“, wenn sie in der Situation präsentiert werden, in der man sie gerade braucht. Das ist das Geheimnis der Ausbildung am Arbeitsplatz.

Wir wollen dieses Prinzip vom Monitor am Arbeitsplatz lösen und mit unseren Lösungen und Contents den Lernern in den betrieblichen Alltag folgen.

Eins unserer erfolgreichsten Contentprodukte ist ja die Kompetenzschulung „Digitalisierung“, die wir schon bei mehreren Kunden eingesetzt haben.

Wenn wir unsere neue Plattform fertig haben, wird der Lerner eine App in der Tasche haben, die ihn durch die Firma begleitet und ihm ganz konkret, in seiner aktuellen Situation klar macht, wo ihn die Digitalisierung heute schon überall umgibt oder morgen umgeben wird. Der Nutzer und seine Bedürfnisse stehen dabei ganz klar im Fokus.

Wir denken lernen eben anders.

 

 

Gregor Engelmeier ist Leiter der Softwareentwicklung und des IT-Betriebs bei der equeo GmbH. Nach seinem Studium an der TU-Berlin war er dort zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter und hatte u. a. im Bereich der Forschung über Phänomene der Selbstorganisation komplexer Systeme Lehraufträge inne. Nachdem er die Universität verlassen hatte, führte er bis 2004 eine Berliner Firma, die unter anderem die Bankgesellschaft Berlin und das Goetheinstitut in München beriet. Nach Stationen als IT Manager bei Wolters Kluwer / digital spirit und Infinitas Learning in den Niederlanden, kam er 2015 zur equeo GmbH.
Über seinen beruflichen Alltag hinaus interessiert sich der IT-Experte besonders dafür, wie sich soziale und technische Systeme gegenseitig durchdringen.

 

(Die Fragen stellte Karen Schubert)

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