freimuth

Prof. Dr. Joachim Freimuth ist Professor für Personalmanagement und Wirtschaft. Er unterrichtet an der Hochschule Bremen und ist freiberuflicher Berater mit den Schwerpunkten Internationale Personal- und Organisationsentwicklung, Prozessberatung und Konfliktmanagement, Führungskräfteentwicklung, Eignungsdiagnostik und Coaching.

Thomas Flum, Geschäftsführer von equeo, hatte Gelegenheit, ihn zu Lernprozessen in Großprojekten zu befragen.

Das Scheitern vieler Großprojekte bringt Sie zur Erkenntnis, dass wir beim Megaprojekt Energiewende aus vergangenen Fehlern lernen müssen, um die zu erwartenden Konflikte und die Komplexität zu managen und das Projekt zum Erfolg zu bringen. In diesem Zusammenhang sprechen Sie auch von einer Logik des Misslingens. Wie ist das gemeint?

„Die Logik des Misslingens“ ist der Titel eines Buches von Dietrich Dörner. Er zeigt darin, dass Probleme und Konflikte schrittweise eskalieren und immer mehr eine nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik entsteht. Lösungen werden dann zunehmend zum Problem. Das kann man am Anfang schon erkennen, nur zeichnen sich solche Tendenzen erst einmal schwach ab und werden unterschätzt. Im Projekt-Management gibt es einen Erfahrungssatz: “Ein Projekt hört immer so auf, wie es beginnt“. Die Energiewende ist sogar ein Megaprojekt und es wird sehr darauf ankommen, welche Zeichen für Kooperation oder Konflikt am Anfang gesetzt werden.

Hinzu kommt, dass es im Zusammenhang mit Infrastruktur-Vorhaben in Deutschland ein kollektives Gedächtnis gibt. Ereignisse wie „Stuttgart 21“ oder „Startbahn West“ sind sogar gelabelt und wirken wie Brandings. Sobald etwas vergleichbares passiert, wird es durch die Medien aktualisiert und hochgespielt. Man müsste etwas ähnliche schaffen für Beispiel des Gelingens. Nur leider ist das nicht so spektakulär und erzeugt wenig Aufmerksamkeit.

Für Sie sind die Entstehung von Vertrauen und ein organisationsübegreifender Lernprozess entscheidende Voraussetzungen für den Erfolg der Energiewende. Was ist dafür notwendig?

Vertrauen kann nur entstehen, wenn einer den ersten Schritt macht und das Risiko der Enttäuschung in Kauf nimmt. Das wäre m. E. auf der kommunalen Ebene sehr wichtig, weil hier die Betroffenheit spürbar ist. Es wäre ein sehr gutes Zeichen, wenn etwa die lokale Politik sich nicht verweigert , sondern etwa Foren und Formen für Dialoge entwickelt und anbietet, um möglichst vorgängig mit den relevanten Akteuren ins Gespräch zu kommen. Wenn erst mal das Gefühl entsteht, dass man vor vollendete Tatsachen gestellt wird, dann gibt es mit Sicherheit Proteste. Betroffene wollen ernst genommen werden, dann sind sie auch zum Dialog und Kompromiss bereit. Es geht um das „Gefühl von Kontrolle“.

Die Schwierigkeit dabei wird sein, dass sich dieses Vertrauen jenseits der Einflussbereiche bzw. Hohheitsgebiete der relevanten Akteure bilden muss. Der Erfolg der Energiewende wird – mit anderen Worten – davon abhängen, wie es gelingt, über Organisationsgrenzen hinaus zu kooperieren. Dafür gibt es keine verbindlichen Formen oder Strukturen. Wer kann beispielsweise was entscheiden? Die Entwicklung solcher Verfahren oder Prozeduren ist der kollektive Lernprozess. Wenn das läuft, ist die Lösung der sachlichen Fragen, etwa konkrete Trassenverläufe, deutlich leichter.

Das Internet und vor allem soziale Medien spielen in der öffentlichen Wahrnehmung von großen Projekten eine immer größere Rolle. Wer ist hier besonders aktiv und wie können die konkreten Folgen für ein solches Projekt aussehen? Wie kann man diesen Akteuren begegnen, kann man sie konstruktiv einbeziehen, um auch ihre Sichtweisen zu berücksichtigen?

Es sind ja bereits viele Informationen über die Energiewende verfügbar, aber die meisten wissen das nicht oder lesen es nicht. Das wundert mich auch nicht, weil das alles noch sehr abstrakt ist. Soziale Medien spielen eine größere Rolle, wenn die Betroffenheit spürbar wird. Dann sollte es regional auf jeden Fall Konzepte geben, beispielsweise Bürgerportale. Aber sie alleine reichen nicht aus, man kommt um Face to Face Kommunikation und konstruktiven Streit hier nicht herum. Zuweilen habe ich den Eindruck, genau das soll durch virtuelle Kommunikation aber vermieden werden, weil man sich nicht auseinandersetzen muss. Das ist eine Illusion.

Natürlich wird das Netz auch von Aktivisten benutzt, um ihre Partial-Interessen durchzusetzen. Das kann man nicht verhindern. Man kann ihnen nur den Wind aus den Segeln nehmen, indem man bewusst den Dialog sucht und um Kompromisse ringt. Es muss dabei allen klar sein, dass die Lösungen niemals befriedigend sein können. Wenn das Bemühen um einen tragbaren Kompromiss erkennbar wird, ist das die Bedingung der Möglichkeit von Akzeptanz, wenn es auch schwer fällt.

Wie kann Vertrauen aufgebaut werden, wenn jede kritische Stimme durch das Web sofort ein „Podium“ findet? Kann das nicht das Ende eines sachlichen Dialoges bedeuten? Kann dieser Prozess überhaupt noch moderiert werden?

Zur Moderation gibt es keine Alternative, nur kann sie nicht grenzenlos sein, sonst fahren wir das Prinzip der Partizipation an die Wand. Es gibt dazu ein ausgezeichnetes Buch von Hellmuth Willke, „Demokratie in Zeiten der Konfusion“. Er macht dort den Vorschlag, für die Entscheidung solcher Konfliktsituationen legitimierte Experten-Organisationen zu entwickeln, die natürlich kompetent, repräsentativ zusammengesetzt und vor allem glaubwürdig sein müssen.

Müssen die Akteure einen Prozess, wie er Ihnen vorschwebt („interaktive, lokale Governance-Konfiguration“, „neue Formen der Kooperation und Versta?ndigung“), auch erst erlernen? Gibt es bereits erfolgreiche Vorbilder oder Modelle, international oder aus anderen Bereichen, möglicherweise auch mit Einbeziehung der Öffentlichkeit?

Das ist schon eine ältere Erkenntnis, dass viele strategische Themen nicht mehr alleine durch Politik oder nach er Marktlogik entschieden werden können, sondern im Rahmen von Institutionen der Zivilgesellschaft. Dafür gibt es viele Beispiele, die wir gar nicht mehr bemerken, der TÜV oder Zertifizierungsstellen beispielsweise. Dorthin wurde Macht delegiert und sie erledigen ihre Aufgabe unauffällig. Es gibt auch sehr viele Beispiele für regionale Netzwerke, die jenseits von Hierarchie Probleme aufgreifen und Lösungen finden. Die Schwierigkeit bei der Energiewende wird hier sein, dass die etablierten Institutionen lernen müssen, auf einen Teil ihrer Macht zu verzichten, sonst werden sie – das ist meine Befürchtung – ihre tatsächliche Machtlosigkeit erleben. Es mangelt an systemischen Denken, das müssen wir alle lernen. Im Moment sind die relevanten Spieler noch viel zu sehr in ihrer „Box“.