Michael Albrecht ist selbstständiger Trainer und Berater im HR-Bereich mit den Schwerpunkten Recruiting, betriebliche Bildung und Talent-Management. Er besitzt langjährige Management- und Führungserfahrung in diesem Bereich, u.a. als Projektleiter für die BMW Group.

Thomas Flum, Geschäftsführer von equeo, hatte Gelegenheit, ihn zu den Herausforderungen im Recruiting-Bereich zu befragen.

Herr Albrecht, sie sind ein Experte im Bereich Recruiting. Was sind aus Ihrer Sicht heute die zentralen Herausforderungen im Recruiting für die Unternehmen? 

Der Arbeitsmarkt in Deutschland ändert sich in vielen Bereichen hin zu einem Arbeitnehmermarkt. Dies bekommen die Unternehmen teilweise schmerzlich zu spüren. Auf diese Veränderungen ist zu reagieren, sofern sie vom Unternehmen nicht schon antizipiert wurden. Die Reihenfolgen der aufgeführten Herausforderungen lässt dabei nicht auf deren Stellenwert schließen. Die Bedeutung der Themen hängt vielmehr von der individuellen Situation des einzelnen Unternehmens ab und ist im Gesamtkontext zu sehen.

Grundsätzlich werden sich die Aufgaben des Recruiters beziehungsweise der Recruitingabteilung ändern. Es vollzieht sich ein Wechsel vom klassischen Recruiting hin zum Sourcen. Das erfordert zwangsläufig auch, dass sich die Kompetenzen ändern. Recruiter entwickeln sich zu Netzwerkern und brauchen zukünftig eine starke Kommunikationskompetenz. Sie fühlen sich in sozialen Medien heimisch und beherrschen mehr als ein IT-System. Sie finden Talente, bauen Verbindungen auf, halten diese Beziehungen über einen Zeitraum und rufen Kandidaten bei Bedarf schnell ab.

Das erweitert das alte Funktionsbild erheblich und erfordert gegebenenfalls völlig andere Eigenschaften beim Recruiter, um dieser wesentlich aktiveren Rolle gerecht zu werden. Ob das dann alles noch in der Hand des Personalreferenten liegt, der diesen Job auch noch mitmacht?

Zur Gewinnung von Talenten wird die Marke ‚Arbeitgeber‘ weiter an Bedeutung gewinnen. Um nachhaltig zu steuern reicht es nicht aus, ein paar Imageanzeigen zu schalten und auf einigen Jobmessen mit dem neu designten Recruitingstand zu glänzen. Voraussetzung für ein nachhaltiges und erfolgreiches Employer Branding ist meines Erachtens zuerst die Wahrnehmung sowie die Akzeptanz des Themas auf der Geschäftsleitungsebene.

Ebenfalls vermisse ich oft eine engere Abstimmung mit dem Corporate Marketing, welches in der Regel über andere Mittel und Hebel verfügt als die Kollegen vom HR-Marketing. Zu diesem Punkt gehört auch, sich ernsthaft mit den Bedürfnissen der ’neuen‘ Bewerber auseinanderzusetzen und die einhergehende Bereitschaft, hieraus gegebenenfalls echte Veränderungsprozesse im Unternehmen anzustoßen. Diese Rolle sollte das Recruiting bzw. der HR-Bereich übernehmen.

Ebenfalls ist für mich ein wichtiger Aspekt die ganzheitliche Betrachtungsweise des Recruitingprozesses. In vielen Fällen kann es nicht nur darum gehen, eine Vakanz möglichst kurzfristig zu schließen. Recruiter müssen beim Denken weiter vorn ansetzen und später aufhören, um langfristig einen höheren Wertschöpfungsbeitrag für das Unternehmen zu generieren. Tun wir das Richtige ist die erste Frage bevor wir klären, tun wir die Dinge richtig! Oft fehlt es an einer durchgängigen HR- bzw. Recruitingstrategie, die sich nachvollziehbar aus der Unternehmensstrategie ableitet.

Ich bin überzeugt, dass dieser Transformationsprozess im Recruiting nicht automatisch passiert, sondern es hierzu eines Managements bedarf.

Was meinen Sie mit dem Thema „Recruting muss weiter vorn beginnen und später aufhören“?

HR-Verantwortliche und insbesonders Recruiter sollten beispielsweise Bedarfe antizipieren können. Dazu sind Informationen zur Unternehmensstrategie und eine enge Abstimmung mit dem Kompetenzmanagement notwendig. Auch Fragen wie: Passt der Bewerber zur Vakanz – aber passt er auch langfristig zum Unternehmen? sollte ein Recruiter stellen. Dazu ist erforderlich, eine Vorstellung von den zukünftigen Führungskräften und Mitarbeitern zu haben bzw. zu entwickeln. Das ist ebenfalls bei der zielgerichteten Qualifizierung von Mitarbeiter hilfreich.

In die andere Richtung blickend: Nach der Vertragsunterschrift hört der Recruitingprozess nicht auf! Mitarbeiter kommen zu Unternehmen, verlassen aber Führungskräfte! Was findet der Bewerber vor, wie wird er geführt, werden die Erwartungen und Versprechungen erfüllt? Gibt es ein Retention Management? Soweit nur ein paar Beispiele für ‚weiter vorn beginnen‘ und ’später aufhören‘.

Sehen sie Unterschiede zwischen kleinen und großen Unternehmen?  

Ja, große Unternehmen haben oft den Vorteil der überregionalen Bekanntheit. Schauen wir uns die vorderen Plätze der Attraktivitätsstudien an. Sie werden in der Regel von den großen Playern belegt. Dazu kommt, dass bei vielen Kandidaten verankert ist, die Großen bieten attraktivere Gehaltsstrukturen. Das erzeugt eine höhere Aufmerksamkeit für die Großen und daraus resultieren wiederum höhere Bewerberzahlen. Es geht letztlich aber nicht nur um die Anzahl der Bewerber, sondern darum, ‚den Richtigen‘ zu finden. Hierfür reicht im Zweifel eine einzige Bewerbung – nämlich die vom Richtigen.

Wie stehen Sie zu der These von Janzky und Abicht, dass die Unternehmen sich in Zukunft bei den interessanten Kandidaten bewerben müssen und nicht umgekehrt? 

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Ich glaube fest daran, dass bei vielen Unternehmen ein Umdenken stattfinden muss. Viele Anzeichen deuten auf eine deutliche Verknappung für bestimmte Zielgruppen am Arbeitsmarkt. Damit ergibt sich zunehmend eine Situation, die Reaktionen auf der Arbeitgeberseite erforderlich machen. Wichtig ist, dass das Umdenken nicht nur in den Köpfen der Recruitingverantwortlichen passiert, sonst verpufft der Effekt schon im Einstellungsgespräch bei der Fachabteilung. Ebenfalls empfehle ich authentisch zu bleiben. Ein mit Honig übergossenes Außenbild wird einem Kandidaten nach seiner Einstellung schon nach kurzer Zeit sauer aufstoßen. Er wird sich vermutlich getäuscht und hintergangen fühlen. Welche Auswirkungen das im Zeitalter von Social Media haben kann, brauche ich nicht erläutern.

Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen der Attraktivität eines Unternehmens und den Weiterbildungsmöglichkeiten? Was müssen die Unternehmen tun?

Arbeitgeberattraktivität wird von vielen Faktoren bestimmt und hängt letztlich beispielsweise auch vom Erfolg eines Unternehmens ab. Ein beständiger und immer hoch gerankter Faktor in Studien zur Arbeitgeberattraktivität ist der Punkt ‚Persönliche Weiterbildung‘. Den Bewerbern ist heute klar, dass die eigene Weiterbildung und damit auch die Bereitschaft lebenslang zu lernen eine Grundvoraussetzung für die Absicherung der eigenen Employability ist. Nicht nur der Bewerber, sondern auch der vorausschauende Mitarbeiter hat das Verlangen in sich zu investieren, so seine Zukunft zu gestalten und abzusichern.

Diesen Aspekten müssen Unternehmen schon aus eigenem Interesse Rechnung tragen. Dabei gilt es, sich auf die veränderten Bedürfnisse der Zielgruppen einzustellen. Speziell fallen die jüngeren Generationen ins Auge. Sie kommunizieren anders, vernetzen sich anders und lernen anders, als die älteren Generationen. Das führen mir nicht nur meine Kinder tag täglich vor Augen.

Wie kann ein Unternehmen auf die Anforderungen der jungen Generation reagieren? Braucht es eine Art „Lernen 4.0“?

Dazu ist sicherlich der Begriff ‚Lernen 4.0‘ näher zu definieren. Wenn ich den Begriff ‚Lernen‘ bei Google eingebe, komme ich auf über 96 Millionen Einträge. Eine beachtliche Größe! Erweitere ich den Suchbegriff auf ‚Lernen 4.0‘, bleiben noch gut 560 Tausend Treffer übrig. Immer noch eine Menge – bezogen auf den Begriff Lernen aber nur ungefähr 0,6 %. Daraus könnte man schließen, wir sind mit dem Thema noch sehr am Anfang. ??Aber ernsthaft: Lernen braucht wie in allen Zeiten – Evolution. Was heißt das? Die Rahmenbedingungen ändern sich. Zielgruppen haben geänderte Anforderungen und bringen andere Voraussetzungen mit. Die technischen Möglichkeiten bieten neue, kostengünstige Chancen, die es bisher so nicht gab. Mit diesen Veränderungen müssen sich Entwickler sowie Anbieter von Lerninhalten stetig auseinandersetzen und ihre Angebote weiterentwickeln. Das ist eine zentrale Bedingung, um nachhaltig Akzeptanz zu finden und langfristig erfolgreich zu sein.