Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Schichtarbeit unabdingbarer für die Funktionsweise einer modernen Gesellschaft ist und dass rund 15,6 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Schichtarbeit leisten. Dabei sind Schichtarbeitende erheblichen Belastungen ausgesetzt, Ernährungs- oder Schlafprobleme, mangelnde Bewegung oder Probleme in sozialen Kontakten – Gründe, warum diese Form der Erwerbstätigkeit für viele Menschen unattraktiv geworden ist. Wie kann man dieses Problem im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements zeitgemäß und strukturiert angehen? Wie lässt sich Schichtarbeit gesünder gestalten? Das Projekt Schichteffekt bietet hierzu einen profunden, pragmatischen und progressiven Lösungsansatz.

Das Projekt Schichteffekt

In einer Spezialausgabe des Magazins PersonalwirtschaftMagazin für den Job HR[1]  hat Prof. Joachim Freimuth zusammen mit Kollegen kürzlich einen Artikel über die von equeo produzierte App Schichtbox verfasst. Die App ist Teil des Projekts Schichteffekt.

Schichteffekt ist eine umfassende Maßnahme im Rahmen des BGM, welche Schichtarbeitenden hilft, ihren Alltags langfristig so umzugestalten, damit sie mit den durch die Schichtarbeit verursachten Problemen besser umgehen können. Es handelt sich bei Schichteffekt um ein Lernangebot, in dem analoges und digitales Lernen miteinander verknüpft werden: In Präsenz-Workshops mit Experten und Trainern wird den Teilnehmenden zunächst ein Problembewusstsein für die Gesundheitsrisiken von Schichtarbeit und ihren Ursachen vermittelt.  Anschließend wird ihnen die von equeo produzierte Coaching-App an die Hand gegeben, in der die Inhalte des Workshops vertieft werden. Durch dieses Coaching wird der Effekt der Live-Trainings verstärkt und in den Alltag der Teilnehmenden getragen. Schichteffekt bietet nicht nur einen hohen Nutzen für einzelne Schichtarbeitende, sondern darüber hinaus auch für Betriebe, Krankenkassen und andere Kollektive des Gesundheitsbetriebes.

Doch wo setzt die App Schichtbox genau an? Welche Probleme herrschen in der Schichtarbeit konkret vor?

Schichtarbeit und ihre gesundheitlichen Risiken

Im genannten Artikel wird zunächst die Bedeutung von Schichtarbeit aufgezeigt und die verschiedenen Effekte der Schichtarbeit auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter erläutert.  Schichtarbeit liege in den verschiedensten Branchen vor (z. B. in der Automobilindustrie, in der chemischen Industrie oder im öffentlichen Dienst), umfassen unterschiedlichste Berufsformen (z. B. Montage-Arbeitende, Facharbeitende oder Ärzte) und trete in differierenden Formen auf (z. B. Wechselschichten, Konti-Schichten oder rollierende Schichten). Schichtarbeit ist also unabdingbar für die Funktionsweise der modernen Gesellschaft, und, wie der Artikel darüber hinaus betont: Der Anteil der schichtarbeitenden Erwerbstätigen steigt. Schichtarbeitende Erwerbstätige sind dabei einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt als andere Berufsgruppen. Ein grundsätzliches Risiko besteht lt. Prof. Freimuth bereits darin, dass Schichtarbeitende beständig gegen ihre innere Uhr arbeiten würden, was einem „permanenten Jetlag“ gleichkäme. Es ließe sich außerdem feststellen, dass ihre Schlafdauer und Intensität leide, das Risiko für Erkrankungen sich erhöhe, dass Familien- und Privatleben beeinträchtigt würde und dass es vermehrt Frühverrentungen gäbe. Schichtarbeit sei nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1992 qua definitionem gesundheitsschädlich. Schichtarbeitende sind also in erheblichem Maße dem Risiko für gesundheitlicher und soziale Schäden ausgesetzt.

Wie gehen Betriebe mit Schichtarbeit um? Welchen Risiken sind sie ausgesetzt?

Auch für Betriebe, so hebt der Artikel hervor, sei Schichtarbeit mit Problemen verbunden: Es bestehe ein „erhöhtes Risiko für Arbeits- und nicht zuletzt Wegeunfälle“, das durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mitarbeitenden und ihr „Arbeiten gegen die innere Uhr“ hervorgerufen würden. Als Beispiele führt der Artikel einen Chemiebetrieb an, in dem mit gefährlichen Stoffen gearbeitet wird, oder ein Krankenhaus, in dem die hohe Verantwortung für medizinische Notfälle getragen wird: Solche Betriebe könnten sich keine Fehler erlauben. Einer Verbesserung der Situation durch mehr Personal stünden oft das knappe Budget eines Betriebes oder der allseits bekannte Fachkräftemangel im Weg. Es gibt daher ein strategisches Interesse für HR, die Arbeitsbedingungen der Schichtarbeit zu verbessern und sie gerade auch „für jüngere und gut ausgebildete Leute annehmbar zu gestalten.“

Wieso schaffen es Schichtarbeitende nicht selbst, ihren Alltag gesund zu gestalten? Brauchen Schichtarbeitende Hilfe? Wie kann man Schichtarbeitende gezielt unterstützen?

Das Hauptproblem bei der Vermeidung gesundheitlicher Risiken besteht für Schichtarbeitende darin, dass ihnen die Suche nach Lösungen individuell überlassen bleibt, obwohl es sich um ein strukturelles Problem handelt: „Viele Betroffene haben Verbesserungen versucht, sind aber gescheitert […]. Am Ende nehmen sie die Dinge hin, teilweise resignativ, teilweise mit etwas Zynismus oder sie schieben die Ursachen auf die Arbeitsbedingungen. Damit haben sie ja auch nicht so ganz unrecht.“ Für Mitarbeitende bis zu einem Alter von circa 35 Jahren ist die Hauptbelastung der Schichtarbeit eine soziale, während Mitarbeitende zwischen 35 und 50 Jahren dagegen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen kämpfen. Natürlich gibt es in allen Altersschichten auch immer wieder Menschen, die zufrieden sind und nichts ändern wollen – „Aber die meisten wissen im Grunde, dass sie sich in einem fatalen Kreislauf befinden“.

Neben all diesen – zunächst pessimistisch stimmenden – Feststellungen gebe es auch eine gute Nachricht: Gerade, weil die meisten Schichtarbeitenden unzufrieden mit ihrem Lebensstil sind, sind sie zu Änderung ihres Lebensstils motivierbar.

Wie funktioniert die Schichtbox?

Schichtbox ist eine Coaching-App, die im Kontext der gesamtheitlichen Maßnahme Schichteffekt eingesetzt wird, und diese Motivation der Schichtarbeitenden nutzt und ihr Ziel und Inhalt gibt. Das Konzept ist lt. Prof. Freimuth erfolgversprechend: Anstatt den User bzw. den Teilnehmenden mit großen Zielen und ausschweifenden Trainingsplänen zu überfordern, setze sie auf „ein minimalistisches Vorgehen, niedrigschwellige Ziele und einfache Aufgaben“, sodass ihm die Veränderung leichtfalle. Der User kann auf täglicher Basis kleine Erfolge feiern, wird in seinem Handeln bestärkt und motiviert gehalten. Allerdings sei genauso klar, dass es im Alltag nicht immer gelingt, das eigene Verhalten zu verändern: Auch hier reagiert das Coaching der App empathisch und bestärkend. Gleichzeitig wird der Nutzer mit seinen Konflikten konfrontiert und zum Reflektieren angehalten. So werden ihm seine Schwierigkeiten bewusst gemacht und er kann sie gezielt angehen.

Fünf Handlungsfelder für Schichtarbeitende

Insgesamt umfasst die App fünf verschiedene Themenfelder, in denen Schichtarbeitende i.d.R. einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Die Themenfelder sind gleichzeitig Zielsetzungen, die der Nutzer mit erfolgreichem Coaching erreichen kann: Eine ausgewogene Ernährung, Erholsamer Schlaf und Regeneration, Ausreichend Bewegung oder Sport, eine balancierte Lebensweise (d.h. ein gesunder Umgang mit Stress) sowie ein gut funktionierendes Sozialleben. Zu Beginn des Coachings sucht sich der Nutzer zwei Themenfelder aus und wird angehalten sich dazu eine Reihe von passenden Zielen zu setzen. Jedes der Themenfelder wird in der App jeweils zwei Wochen bearbeitet werden. Das Coaching ist niedrigschwellig, begleitet den Nutzer im Alltag und hält ihn gleichzeitig „bei der Stange“: Über Push-Nachrichten erhält er täglich eine kleine Aufgabe sowie Anregungen zur Reflexion seiner Lösung. Am siebten Tag einer Coaching-Woche erfolgt dann eine Wochenauswertung, in der der Nutzer seinen Fortschritt über die Woche hinweg bewerten kann. Ein Beispiel für eine typische Aufgabe: Die Nutzer werden im Block ‚Ausgewogene Ernährung‘ gebeten, zunächst lediglich zu notieren, was sie an einem Tag zu sich genommen haben. Die nächste Aufgabe ist dann, nur ein ungesundes durch ein gesundes Lebensmittel zu ersetzen. So geht es in kleinen Schritten weiter: Es folgen z.B. Übungen zu bewusstem Einkaufen oder Tipps, seine Mahlzeiten zu portionieren und sich dafür Zeit zu nehmen.

Die Wirkung: Ein gesünderes Leben durch effektives Coaching

Im Artikel wird beschrieben, dass die App gerade durch ihren niedrigschwelligen Ansatz eine hohe Wirkung erziele. Der Nutzer wird auf seine Kernprobleme aufmerksam gemacht, behält aber zu jedem Zeitpunkt die Entscheidungshoheit. Die App wirkt auf den Nutzer also nicht bevormundend, sondern als empathische und motivierende Alltagshilfe. Sie verwendet mit der Kombination aus systemischer Beratung und E-Coaching eine Methode der Weiterbildung, die sich als besonders nachhaltig erwiesen hat: Wissen und informative Hintergründe werden dann vermittelt, wenn der Nutzer sie für konkretes Handeln benötigt.

Mit der Schichtbox/Schichteffekt zu nachhaltigem Change/nachhaltiger Veränderung!

Prof. Freimuth resümiert das Schichtbox im Rahmen der Schichteffekt Maßnahme ein effizienter, pragmatischer und fortschrittlicher Ansatz sei, um die Probleme des Gesundheitsmanagements in der Schichtarbeit strukturell zu verändern und die Mitarbeiter dabei sinnvoll einzubinden: Mithilfe der App könne es Betrieben gelingen, beliebig viele Mitarbeitende unabhängig von ihrer Lebens- und Arbeitssituation in koordinierter Weise zu schulen und für eine umfassende Weiterbildungsmaßnahme im Thema Gesundheit zu mobilisieren.

Die App Schichtbox setze dabei auf nachhaltige Verhaltensänderungen. Ihre Wirkung multipliziere sich, wenn Sie innerhalb einer Organisation in eine geplanten und strukturierten Veränderungsprozess eingebunden wird.

 

[1]  HR Software 07/21: Siegeszug der Digitalisierung – Welche Lösungen und Tools Unternehmen jetzt brauchen, Titel des Artikels: „Eine Coaching-App für gesunde Schichtarbeit“. Vgl. <https://www.personalwirtschaft.de/assets/documents/Downloads/PW_SH_Software_07_2021_web.pdf>